Einigung zwischen EU und Großbritannien auf einen Austrittsvertrag und die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen
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Buchstäblich in letzter Minute haben sich die EU und Großbritannien über die Bedingungen der künftigen Zusammenarbeit geeinigt. Der Abschluß der Verhandlungen wurde am 24.12.2020 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Brexit-Sonderbeauftragten, Michel Barnier, in Brüssel bekannt gegeben.
Der Entwurf des Handelsabkommens besteht aus drei Hauptsäulen:
I. Eine neue Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft mit dem Vereinigten Königreich
- Das Abkommen erstreckt sich nicht nur auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern auch auf weitere Bereiche, die im Interesse der EU liegen, wie Investitionen, Wettbewerb, staatliche Beihilfen, Steuertransparenz, Luft- und Straßenverkehr, Energie und Nachhaltigkeit, Fischerei, Datenschutz und Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
- Es sieht Nullzollsätze und Nullkontingente für alle Waren vor, die den entsprechenden Ursprungsregeln genügen.
- Beide Parteien haben sich verpflichtet, durch Aufrechterhaltung eines hohen Schutzniveaus in Bereichen wie Umweltschutz, Bekämpfung des Klimawandels und Kohlenstoffpreisgestaltung, Sozial- und Arbeitnehmerrechte, Steuertransparenz und staatliche Beihilfen solide und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Dabei wird es eine wirksame innerstaatliche Durchsetzung und einen verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus gehen und es wird für beide Parteien die Möglichkeit bestehen, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.
- Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich auf einen neuen Rahmen für die gemeinsame Bewirtschaftung der Fischbestände in den Gewässern der EU und des Vereinigten Königreichs geeinigt. Das Vereinigte Königreich wird seine Fischereitätigkeiten weiterentwickeln können, und gleichzeitig werden die Tätigkeiten und Lebensgrundlagen der europäischen Fischereigemeinden geschützt und die natürlichen Ressourcen erhalten.
- In Bezug auf den Verkehr sieht das Abkommen eine dauerhafte und nachhaltige Vernetzung in den Bereichen Luft-, Straßen-, Schienen- und Seeverkehr vor, wenn auch der Marktzugang hinter dem des Binnenmarkts zurückbleibt. Es enthält Bestimmungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass im Wettbewerb zwischen Betreibern aus der Union und dem Vereinigten Königreich gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten, sodass die Fahrgastrechte, Arbeitnehmerrechte und die Verkehrssicherheit nicht gefährdet werden.
- Im Energiebereich bietet das Abkommen ein neues Modell für den Handel und die Verbundfähigkeit mit Garantien für einen offenen und fairen Wettbewerb, einschließlich Sicherheitsstandards für Offshore-Anlagen, und für die Erzeugung erneuerbarer Energien.
- In Bezug auf die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zielt das Abkommen darauf ab, eine Reihe von Rechten von EU-Bürgerinnen und Bürgern und britischen Staatsangehörigen zu gewährleisten. Dies betrifft Bürgerinnen und Bürger der EU, die im Vereinigten Königreich arbeiten bzw. dorthin reisen oder umziehen, sowie Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, die in der EU arbeiten bzw. dorthin reisen oder umziehen und gilt ab dem 1. Januar 2021.
- Ferner ermöglicht das Abkommen die weitere Teilnahme des Vereinigten Königreichs an einer Reihe von EU-Leitprogrammen für den Zeitraum 2021-2027 wie etwa Horizont Europa (vorbehaltlich eines finanziellen Beitrags des Vereinigten Königreichs zum EU-Haushalt bzw. zu den einzelnen Programmlinien).
II. Eine neue Partnerschaft für die Sicherheit der EU-Bürgerinnen und Bürger
Mit dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit wird ein neuer Rahmen für die Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen geschaffen. Es bestätigt die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Polizei- und Justizbehörden, insbesondere bei der Bekämpfung und Verfolgung von grenzüberschreitender Kriminalität und Terrorismus. Es werden neue operative Kapazitäten geschaffen, wobei berücksichtigt wird, dass das Vereinigte Königreich als Nicht-EU-Mitglied außerhalb des Schengen-Raums nicht über dieselben Einrichtungen verfügen wird wie bisher.
III. Horizontale Vereinbarung über Governance (Kontrolle über ordnungsgemäße Anwendung)
Um Unternehmen, Verbraucher/innen und Bürger/innen größtmögliche Rechtssicherheit zu bieten, wird in einem speziellen Kapitel über die Governance dargelegt, wie das Abkommen gehandhabt und kontrolliert wird. So wird ein Gemeinsamer Partnerschaftsrat eingesetzt, der dafür sorgt, dass das Abkommen ordnungsgemäß angewandt und ausgelegt wird und in dem alle sich ergebenden Fragen erörtert werden.
Verbindliche Durchsetzungs- und Streitbeilegungsmechanismen werden gewährleisten, dass die Rechte von Unternehmen, Verbrauchern und Einzelpersonen geachtet werden. Dies bedeutet, dass Unternehmen in der EU und im Vereinigten Königreich unter gleichen Wettbewerbsbedingungen miteinander konkurrieren und wird verhindern, dass jede Partei ihre Regulierungsautonomie nutzt, um unfaire Subventionen zu gewähren oder den Wettbewerb zu verzerren.
Beide Parteien können im Falle von Verstößen gegen das Abkommen sektorübergreifende Gegenmaßnahmen ergreifen, dies gilt für alle Bereiche der Wirtschaftspartnerschaft.
Auswirkungen des Abkommens und Ratgeber über die Konsequenzen für Bürger und Unternehmen
Am 01.01.2021 wird das Vereinigte Königreich aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion sowie aus allen Politikbereichen der EU und aus internationalen Übereinkünften der EU ausscheiden. Die Europäische Kommission weist daraufhin, dass damit der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU endet. Die EU und das Vereinigte Königreich werden dann zwei getrennte Märkte bilden, d.h. zwei verschiedene Regulierungs- und Rechtsräume. Die Europäische Kommission macht deutlich, dass damit Hindernisse für den Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie für die grenzüberschreitende Mobilität und den grenzüberschreitenden Austausch entstehen.
Hinweis: In einem Artikel des EDIC Mittlerer Niederrhein vom ….. finden Sie ausführliche Informationen der Europäischen Kommission und des Bundeswirtschaftsministeriums zu den Auswirkungen und Serviceangebote für Bürger/innen und Unternehmen über die nach dem Austritt geltenden Regelungen und notwendigen Vorkehrungen.
Weiteres Vorgehen
Aufgrund der Eilbedürftigkeit haben die 27 EU-Mitgliedstaaten am 29.12.2020 dem Abkommen und seiner vorläufigen Anwendung bis zum 28.02.2021 zugestimmt, das britische Parlament hat den Vertrag am 30.12.2020 ratifiziert. Das Europäische Parlament hatte im Dezember deutlich gemacht, dass es nicht bereit sei, dem Vertrag ohne vorherige gründliche Prüfung zuzustimmen. Die Debatte im Europäischen Parlament über das Brexitabkommen ist für Februar 2021 vorgesehen.
Zitate
Kommissionspräsidentin von der Leyen sagte nach dem Abschluss der Verhandlungen in einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Sonderbeauftragten für die Brexitverhandlungen, Michel Barnier in Brüssel: „Es hat sich gelohnt zu kämpfen“. … „Wir haben jetzt ein faires und ausgewogenes Abkommen mit dem Vereinigten Königreich, das unsere europäischen Interessen schützt, einen fairen Wettbewerb gewährleistet und unseren Fischereigemeinschaften dringend benötigte Planungssicherheit bietet. Endlich können wir den Brexit hinter uns lassen und in die Zukunft blicken. Europa geht jetzt weiter“.
Michel Barnier zeigte sich ebenfalls froh über den Abschluss und sagte: „Die vergangenen vier Jahre waren sehr intensiv – dies gilt insbesondere für die letzten neun Monate, in denen wir den geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und eine ganz neue Partnerschaft ausgehandelt haben. Heute haben wir schlussendlich eine Einigung erzielt. Während dieser Verhandlungen stand der Schutz unserer Interessen im Mittelpunkt, und ich freue mich, dass es uns gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen. Es ist nun Sache des Europäischen Parlaments und des Rates, zu dieser Einigung Stellung zu beziehen.“
Das Auswärtige Amt macht darauf aufmerksam, dass nie ein derart umfassendes Abkommen der EU mit einem Drittstaat vereinbart wurde, und dazu noch in dieser Rekordzeit trotz der auch durch die Coronakrise notwendigen Zwangspausen bei den Verhandlungen.
Wichtiger Hinweis: Sie sehen eine Archivseite. Diese Informationen geben den Stand des Veröffentlichungstages wieder (28.12.2020) und sind möglicherweise nicht mehr aktuell.