Europäische Kommission erarbeitet Richtlinie zur Sicherstellung angemessener Mindestlöhne in allen EU-Mitgliedstaaten
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Die Europäische Kommission hat am 28.10.2020 eine EU-Richtlinie vorgelegt, die Arbeitnehmer/innen angemessene Mindestlöhne sichern und ihnen am Ort ihrer Arbeit einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen soll. Zur Begründung heißt es, dass angemessene Mindestlöhne nicht nur eine positive soziale Wirkung sondern auch wirtschaftliche Vorteile haben, da sie die Lohnungleichheit verringern, zur Stützung der Binnennachfrage beitragen und Arbeitsanreize verstärken; außerdem könnten angemessene Mindestlöhne das geschlechtsspezifische Lohngefälle verringern, da immer noch mehr Frauen als Männer einen Mindestlohn erhalten.
Grund für die jetzige Vorlage der Richtlinie sei auch, dass die derzeitige Krise Branchen mit hohem Anteil von Geringverdienenden, wie Reinigungsdienste, Einzelhandel, Gesundheitswesen, Langzeitpflege und Heimbetreuung, besonders hart getroffen habe. Die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards für Arbeitnehmer/innen sowie die Verringerung der Armut trotz Erwerbstätigkeit ist nach Ansicht der Europäischen Kommission nicht nur während der Krise wichtig, sondern sei auch für eine nachhaltige und inklusive wirtschaftliche Erholung von entscheidender Bedeutung.
Ein Rahmen für Mindestlöhne unter uneingeschränkter Achtung der nationalen Zuständigkeiten und Traditionen
Die Europäische Kommission erläutert, dass es in allen EU-Mitgliedstaaten Mindestlöhne gebe: In 21 Ländern gibt es gesetzliche Mindestlöhne und in 6 Mitgliedstaaten (Dänemark, Italien, Zypern, Österreich, Finnland und Schweden) wird der Mindestlohn ausschließlich durch Tarifverträge geschützt. In den meisten Mitgliedstaaten seien Arbeitnehmer/innen jedoch von unzulänglicher Angemessenheit und/oder Lücken beim Mindestlohnschutz betroffen. Vor diesem Hintergrund schaffe die vorgeschlagene Richtlinie einen Rahmen, um die Angemessenheit der Mindestlöhne und den Zugang der Arbeitnehmer/innen zum Mindestlohnschutz in der EU zu verbessern. In diesem Zusammenhang betont die Europäische Kommission ausdrücklich, dass der Vorschlag das Subsidiaritätsprinzip voll und ganz respektiere, denn er schaffe einen Rahmen für Mindeststandards, der die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und die Autonomie sowie die Vertragsfreiheit der Sozialpartner im Bereich der Löhne berücksichtige und widerspiegele. Der Vorschlag lege weder ein gemeinsames Mindestlohnniveau fest, noch verpflichte er die Mitgliedstaaten zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne.
Vor diesem Hintergrund fordert die Europäische Kommission die Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen auf, sie sollten Voraussetzungen für die Festlegung von Mindestlöhnen in angemessener Höhe schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehören nach ihren Vorstellungen insbesondere klare und solide Kriterien für die Festlegung des Mindestlohns, Referenzwerte für die Bewertung der Angemessenheit sowie regelmäßige und rechtzeitige Aktualisierungen der Mindestlöhne. Diese Mitgliedstaaten werden ferner aufgefordert, die verhältnismäßige und gerechtfertigte Anwendung von Mindestlohnvariationen und -abzügen sowie die wirksame Einbeziehung der Sozialpartner in die Festlegung und Aktualisierung des gesetzlichen Mindestlohns sicherzustellen.
Schließlich sieht der Vorschlag eine bessere Durchsetzung und Überwachung des in jedem Land geltenden Mindestlohnschutzes vor. Die Einhaltung und die wirksame Durchsetzung seien von entscheidender Bedeutung, damit Arbeitnehmer/innen vom Zugang zum Mindestlohnschutz profitieren und Unternehmen vor unlauterem Wettbewerb geschützt werden könnten. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie werde eingeführt, dass die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Daten in Bezug auf den Mindestlohnschutz in einem jährlichen Bericht vorlegen.
Zur Erläuterung des Vorschlags erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Der heutige Vorschlag für angemessene Mindestlöhne ist ein wichtiges Signal, dass die Würde der Arbeit auch in Krisenzeiten unantastbar sein muss. Wir haben beobachtet, dass sich Arbeit für zu viele Menschen nicht mehr lohnt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten Zugang zu angemessenen Mindestlöhnen und einem angemessenen Lebensstandard haben. Heute legen wir einen Rahmen für Mindestlöhne vor, der die nationalen Traditionen und die Tariffreiheit der Sozialpartner uneingeschränkt achtet. Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen wird nicht nur unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber, die angemessene Löhne zahlen, schützen und die Grundlage für eine gerechte, inklusive und stabile Erholung schaffen.“
Hintergrund:
Bei ihrem Amtsantritt hatte Ursula von der Leyen angekündigt, ein Rechtsinstrument vorzulegen, mit dem sichergestellt werde, dass Arbeitnehmer/innen in der EU einen gerechten Mindestlohn erhalten. In ihrer Rede zur Lage der EU am 16.09.2020 vor dem Europäischen Parlament hatte sie noch einmal diese Zusage erneuert. Das Recht auf einen angemessenen Mindestlohn ist in Art. 6 der europäischen Säule der sozialen Rechte verankert, die auf dem seinerzeitigen Göteborg-Gipfel im November 2017 vom Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.
Der heutige Vorschlag stütze sich auf Artikel 153 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) über Arbeitsbedingungen. Er folge auf einer zweistufigen Konsultation der Sozialpartner gemäß Artikel 154 AEUV. Der Vorschlag der EU-Kommission werde nun dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Billigung vorgelegt. Nach der Annahme müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.
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