Bericht über die gemeinsame Veranstaltung von Rhein-Kreis Neuss und Stadt/VHS Neuss zur EU-Digitalstrategie mit den Schwerpunkten KI und Quanteninformatik am 08.12.2021
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Am 08.12. 2021 hatte Landrat Petrauschke gemeinsam mit der Stadt Neuss zur Veranstaltung „Die EU-Digitalstrategie mit den Schwerpunkten Künstliche Intelligenz und Quanteninformatik“ zu einem virtuellen Fach- und Erfahrungsaustausch eingeladen und konnte hochrangige Referenten begrüßen; neben Professor Ulrich Brückner, der bereits auf der grenzüberschreitenden Veranstaltung zur EU-Digitalstrategie mit dem polnischen Partnerkreis Mikolów im September d.J. referiert hatte auch Dr. Oliver Heidinger, den stellv. Chief Information Officer der Landesregierung NRW aus dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie.
In seiner Begrüßung bedauerte Petrauschke, dass der Europaabend entgegen der ursprünglichen Planung nicht in Präsenz, sondern nur digital stattfinden könne, aber er sei froh, dass die moderne Technik es überhaupt ermögliche, sich in diesen Zeiten zu „treffen“. Denn Corona störe immer, habe aber auch Fortschritt erzwungen. Noch 2018 hätten die meisten Schulleiter/innen gesagt, dass die technischen Geräte nichts im Schulunterricht zu suchen hätten, heute fragten sie nach einer möglichst schnellen Ausstattung mit Breitband, iPads für die Schüler/innen und Dashboards für den Schulunterricht. Digitalisierung sei eine Zukunftsaufgabe und brauche Zeit, damit alle mitgenommen werden könnten; er freue sich, dass nach dem Erfahrungsaustausch mit dem Kreis Mikolów nun eine gemeinsame Veranstaltung mit der Stadt Neuss stattfinde, die kürzlich als Europaaktive Kommune vom Europaminister NRW ausgezeichnet worden sei.
Im Folgenden fasste Petrauschke kurz die wichtigsten jüngsten rechtlichen und politischen Maßnahmen der Europäischen Kommission im Bereich der Digitalisierung zusammen. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen habe das kommende Jahrzehnt zu einer Dekade für die Digitalisierung ausgerufen. Vor diesem Hintergrund habe die Europäische Kommission im März 2021 eine Digitale Strategie für den digitalen Wandel in Europa und Mitte September 2021 den „Digitalen Kompass 2030“ vorgelegt; in dem Kompass seien unter vier Überschriften - Kompetenzen, Regierung, Wirtschaft und Infrastrukturen – die digitalen Ziele für die Gesellschaft und die Wirtschaft dargelegt. So sollen 20 Mio. IKT-Fachkräfte ausgebildet werden (unter Einhaltung der Konvergenz der Geschlechter) und mindestens 80 Prozent der Bevölkerung über digitale Grundkenntnisse verfügen, wichtige öffentliche Dienste der nationalen Regierungen sollen zu 100 Prozent online zur Verfügung stehen genauso wie die persönlichen Gesundheitsakten und 80 Prozent der Bevölkerung sollen eine digitale Identität verwenden; bei den Infrastrukturen soll es in ganz Europa eine 5G-Ausstattung geben und die Produktion von hochmodernen Halbleitern in Europa soll sich verdoppeln, außerdem soll es den ersten Computer mit Quantenbeschleunigung in Europa geben.
In diesem Zusammenhang verwies Petrauschke auf eine kürzliche Übersicht der Europäischen Kommission vom November 2021, die aufgezeigt habe, dass Deutschland erheblichen Aufholbedarf habe; nach dem jährlichen Index der Europäischen Kommission für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft liege Deutschland nur auf Platz 11: Bei der 5G-Bereitschaft gehöre Deutschland zwar zu den Spitzenreitern und bei der allgemeinen Festnetzbreitbandnutzung stehe Deutschland auf Platz zwei, doch der Mangel an IKT-Fachkräften bestehe wie bereits in den vergangenen Jahren festgestellt, weiter, was auch die Integration der Digitaltechnik durch Unternehmen behindere.
Damit bleibe die Digitalisierung eine große Herausforderung und es dürfe nicht vergessen werden, dass alle neuen Technologien den Menschen dienen müssten, d.h. es nicht darum gehen könne, Macht und Einfluss über Menschen zu gewinnen. Mit dieser doppelten Herausforderung beschäftige sich der heutige Abend und er habe die Hoffnung, dass sich die Ergebnisse für die Verwaltung ausnutzen lassen könnten. Der Rhein-Kreis Neuss habe bereits eine Digitalisierungsstrategie entwickelt und es stelle sich für ihn die Frage nach einer unnötigen Bürokratisierung, die sich durch übertriebenen Datenschutz ergebe.
Für die VHS Neuss begrüßte Direktorin, Dr. Marie Batzel, die Gäste und entschuldigte Bürgermeister Breuer, der terminlich verhindert sei; sie freue sich, dass durch den gemeinsamen Abend zwei Querschnittsthemen der VHS Neuss behandelt würden, einmal das Thema Europa und zum anderen das Thema Digitalisierung. Die VHS Neuss habe mit ihrer Europaarbeit in den vergangenen Jahren einen großen Beitrag zu der diesjährigen Auszeichnung der Stadt Neuss zur Europaaktiven Kommune geleistet, denn sie biete Unterricht, Vorträge und Kochkurse in sieben Sprachen an sowie zusätzlich das Fach Politische Bildung. Im Sinne von Heraklit hoffe sie, dass heute das „Feuer“ des Interesses weiter getragen werde und die Bürgerinnen und Bürger einen persönlichen Nutzen von der Veranstaltung mitnehmen könnten. Denn die Intention der VHS Neuss sei es, deutlich zu machen, dass Europa „nah“ sei und mitgestaltet werden könne.
Professor Ulrich Brückner betonte zu Beginn seines Vortrags, dass es im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung dringend notwendig sei, darüber aufzuklären, was das Thema beinhalte, denn es stelle sich schon seit einiger Zeit die Frage, ob die Digitalisierung die Zukunft der Menschheit oder wie Henry Kissinger es gesagt habe, das Ende der Aufklärung bedeute, weil diese das Denken und die Erkenntnisprozesse des Menschen im großen Umfang verändere. Als Politikwissenschaftler werde er daher heute nicht über bestehende Rechtsvorschriften vortragen, sondern sich den grundsätzlichen Fragen zuwenden.
Was bedeutet KI und Quanteninformatik? Beides verändere Lernen und Entscheidungen, weil es zu einer menschlichen Interaktion mit Maschinen komme und Computer die Möglichkeit hätten, Produkte und Geschehnisse vorherzusagen und zu interpretieren; hier komme die KI ins Spiel, die Daten sammeln und ordnen und schrittweise Problemlösungen anbieten könne, gleichzeitig sei KI in der Lage zu lernen und Optimierungen zu erreichen.
Wie verändert das Gesellschaft und Wirtschaft? Beides vollziehe sich unsichtbar und schnell, mit der Gefahr den Überblick und den Anschluss zu verlieren, andererseits eröffne es ökonomische Möglichkeiten und sei eine „Innovationspeitsche“.
Wie sieht die EU-Digitalstrategie aus? Im Mittelpunkt der Digitalisierungsstrategie der EU stehe der Mensch, damit bestehe ein Spannungsfeld zu den USA und China, da in den USA KI ein Geschäftsmodell und in China ein Mittel der Kontrolle von Menschen sei (Abweichen von vorgegebenen Normen wird festgehalten). Das Thema Digitalisierung stehe auf der Prioritätenliste der EU an 2.Stelle nach dem European Green Deal und erhalte entsprechend hohe Summen an Finanzmittel, z.B. über REACT-EU und den Europäischen Aufbauplan. Die Digitalisierung soll nach dem Wunsch der EU den Wandel beschleunigen, dabei jedoch für Mensch und Wirtschaft überschaubar und kontrollierbar bleiben. Die neueren Entwicklungen zeigten allerdings deutlich, dass sich mit der zunehmenden Digitalisierung Grenzen verschieben würden, was im Gefolge zu einem Kontrollverlust, Diskriminierung und Machtkonzentration führe.
Nach Beantwortung der Fragen vertrete er folgende Thesen:
- Es komme zu einem globalen Wettbewerb, doch verfüge die EU über keine eigene Plattform
- Es gebe unterschiedliche Positionen der EU-Mitgliedstaaten (z.B. zwischen Estland und den Mitgliedstaaten, die weniger weit mit der Digitalisierung seien); dies stelle ein Risiko dar, weil es zu einer Spaltung führen könne, andererseits sei es auch eine Chance, dass die Mitgliedstaaten voneinander lernten und daraus einen gemeinsamen Nutzen ziehen könnten.
- Die permanente Optimierung und Effizienzsteigerung berge die Gefahr eines Klassensystems, weil es (große) Unterschiede zwischen Wissen, Können und Nutzen der Digitalisierung gebe.
- Die Prioritäten, die sich daraus ergeben, seien die Notwendigkeit zur Cybersecurity (wobei die Dimensionen hier noch nicht absehbar seien), die Infragestellung der informationellen Selbstbestimmung und im Gefolge Diskriminierung und die Energiefrage, denn die Digitalisierung sei energieintensiv.
Aus dem bisher Gesagten ergäben sich folgende Schlussfolgerungen:
Es gebe einen globalen Wettbewerb, der eine immer größere Beschleunigung der technischen Neuerungen erfordere und zusätzlich durch die Herausforderung des Klimawandels verstärkt werde. Das Verstehen von Technik werde zentral, sei aber aufgrund der zunehmenden Komplexität in allen Lebensbereichen kaum möglich, damit komme es zu einem „Hinterherlaufen“ und zu der Gefahr, dass ein „Spaltpilz“ entstehe bzw. der Mensch zum „Datenklumpen“ gesehen werde.
Im sich anschließenden Vortrag erläuterte Dr. Heidinger ausführlich die Governance-Srategie der Landesregierung NRW. Das Pinkwart-Ministerium sei das digitale Vorzeigeministerium der Landesverwaltung und er sei der Beauftragte für die Informationstechnik, als Leiter der Digital Governance sei er für die Umsetzung der digitalen Programme der Landesverwaltung NRW zuständig.
Zu Beginn seines Vortrages erklärte Dr. Heidinger, dass Künstliche Intelligenz maschinelles Lernen darstelle, das durch Erfahrung immer größeres Wissen aufbaue. Als Beispiel für eine sinnvolle KI erläuterte er die Erfahrung während seiner Zeit als Geschäftsführer des Krebsregisters; hier habe sich gezeigt, dass Erfahrungswissen von KI Chancen für fortschrittliche Therapien biete. So habe man ein Programm mit vielen tausend Krankheitsfällen und den damit gemachten Erfahrungen erstellt, die dann in sog. Codes umgewandelt wurden, die maschinell auswertbar waren. Diese codes wurden auf neue Fälle übertragen, wodurch mit der Zeit neue Therapien entwickelt werden konnten.
Heute stelle sich die Frage was in der Verwaltung machbar sei, denn es gehe nicht nur um das administrative Arbeiten, sondern letztendlich um Sozialgestaltung, wie z.B. die Ausstellung von Personalausweis und Führerschein. Das im Jahr 2017 beschlossene Onlinezugangsgesetz habe sich als positiver Treiber erwiesen, weil es vorgebe, dass bis Ende 2022 für alle Bürgeranliegen eine elektronische Antragstellung geben müsse. In diesem Zusammenhang gehe es aber direkt um den nächsten Schritt, nämlich die elektronisch selbstständige Bearbeitung der Anträge; dies werde notwendig, da in absehbarer Zeit Personal in den Verwaltungen fehlen werde. Im Ganzen gehe es um eine dialogbasierte Antragstellung, d.h. Anträge könnten über Spracherkennung (natural language processing) eingereicht werden, die im Rahmen eines automative speech recognition –Prozesses bearbeitet werden, einschließlich Rückfragen der Bürger/innen. Dies führe im weiteren Prozess auch zur Einführung einer automatischen rechtlichen Prüfung der einzelnen Fälle einschließlich der Nutzung von Ermessensspielraum für zu treffende Entscheidungen.
Das Land NRW habe auch KI-Lösungen für die Wirtschaft entwickelt, insgesamt zeige sich, dass die Verwaltung schneller werden müsse, da es bei vielen Bereichen auch um Standortentscheidungen der Wirtschaft und Wissenschaft gehe.
In der nachfolgenden Diskussion wurde die Frage nach der Schnelligkeit thematisiert und davor gewarnt, dass die digitalisierte Kommunikation die Gefahr eines Kommunikationsproblems mit den Bürger/innen berge, da die schnellen technischen Entwicklungen nicht mehr erklärt werden könnten. Zugleich bestehe aber die Aufgabe, für die Wirtschaft schnelle Lösungen im KI-Bereich bereitzuhalten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren. Zudem wurde auf das Problem hingewiesen, dass zur Zeit digitale Unterschriften rechtlich nicht anerkannt würden, da es die dafür notwendigen Geräte für den Privatbereich noch nicht gebe. Dr. Heidinger verwies hier auf die Notwendigkeit, mit digitalen Programmen und ihrer Umsetzung in allen Lebensbereichen schneller werden zu müssen, es müssten entsprechend neue vertiefte digitale Programme entworfen werden und die vorhandenen verbessert werden, so dass eine gegenseitige, verständliche und effiziente Kommunikation zwischen Antragstellern und Entscheidern möglich werde.
Zum Abschluss der Diskussion mahnte Professor Brückner bei der Frage nach dem Widerspruch zwischen Ethik und den wirtschaftlichen Globalisierungsprozessen, dass bei allem digitalem Fortschritt gemäß der Vergaben durch die EU Vertrauen und vor allem der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse.
Durch den Abend führte sachkundig und lebendig, wie schon bei früheren Europaveranstaltungen des Rhein-Kreises Neuss, Thorsten Breitkopf, Ressortleiter Wirtschaft des Kölner Stadtanzeiger.
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